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Abb. 01 Leuchte 1958, Prototyp

Helmut Jäger Innenarchitekt + Gestalter (1927-2016)
1. Zum individuellen Erinnern
2. Mein Traum
3. Stationen sind immer auch Projektstationen
4. Zum väterlichen Erbe
5. Erinnerung verändert
6. Abbildungen

Tradition und Moderne | Ab den 50er Jahren entwirft Helmut Jäger (* 1927 Stadtilm; † 2016 Hellental) Objekte, Möbel und Innenräume, Gebäude und einen Landschaftsgarten. Den sozialen und ästhetischen Ideen einer industriellen Moderne verpflichtet, steht sein Wirken exemplarisch für die Haltung eines Gestalters im 20.Jh., der in der seriellen Entwicklung von Räumen und Objekten einen Beitrag zur verantwortlichen Gestaltung gesellschaftlicher Bedingungen sieht.

In der Reihe "Tradition und Moderne" untersuchen Dagmar Jäger und Christian Pieper in Text oder Fotoarbeiten einzelne Aspekte im Werk moderner Gestalter und Architekten des 20. Jahrhunderts.

Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung der Trauerrede von Dagmar Jäger zur Trauerfeier von Helmut Jäger in Hellental am 17. Juni 2016.

Abb. 02 a,b Tischkonstruktionen Alma, 1962 (bei: Albrecht & Mammele)Abb. 02 a,b Tischkonstruktionen Alma, 1962 (bei: Albrecht & Mammele)
Abb. 02 a,b Tischkonstruktionen Alma, 1962 (bei: Albrecht & Mammele)

Zum individuellen Erinnern

Erinnerung ist eine recht persönliche Angelegenheit, wenn es um den eigenen Vater geht. Die Erfahrungen, die man in diesem Zusammenhang reflektieren kann, sind schwer auf einen kleinen Redebeitrag zur Beisetzung zu reduzieren. [...] Mein Vater hat in vielen Episoden nicht nur unterschiedliches gelebt, sondern in seinen 89 Lebensjahren vielleicht 10 Mal den Lebensort gewechselt. Auf jeder Station seines Lebens, als Kind [in Stadtilm, Thüringen], als junger Handwerker [Tischler, Tischlermeister] und Student [der Innenarchitektur in Erfurt, Fachschule für angewandte Kunst, am Hügel 1], als Gestalter [bis 1956 in der jungen DDR, ab 56 in Westdeutschland, zuerst in Düsseldorf, dann Stuttgart usw.], als Familienvater und Schachspieler oder als Skatbruder hat er mit jedem seiner Mitmenschen etwas Eigenes geteilt.

In der transformierenden Erinnerung schafft sich jede und jeder seinen eigenen Vater, Ehemann, Helmut. [...] Ich versuche nicht für alle Trauergäste gleichermaßen und keinesfalls umfassend an meinen Vater zu gedenken, aber hoffentlich gibt es ein paar Erinnerungs-Schnittstellen für jeden von uns.

Abb. 03 Schrankprototyp aus den frühen 60er Jahren, privat
Abb. 03 Schrankprototyp aus den frühen 60er Jahren, privat

Mein Traum

Vor ein paar Wochen hatte ich einen Traum, in dem mein Vater sehr viele Schränke in unserem Haus am Berge in Produktion hat. In diesem Traum hat er natürlich noch gelebt und ich hatte eine gewisse Unsicherheit, ob er diese Schränke zuende bringen wird.

Ich träume oft räumliche Sequenzen – dabei variiere ich zumeist Raumsituationen, die ich kenne oder ich entwerfe sie gleich ganz neu. In diesem Traum waren die Schränke in einem über viele Etagen nicht endenden Berghaus verteilt – ich hatte keinen richtigen Überblick über die Anzahl.

Mein Vater hat sein Leben lang für die Familie Möbel entworfen –
nicht nur Schränke, sondern Tische, Bett- und Sofa Landschaften, Leuchten, Spiel Geräte, ein großes Wohnhaus, das zugleich Sitz für Arbeit, Ausstellung und Freizeit war; er hat ein Haus für die Pferde, ein Haus für die Tischtennisplatte, einen Gartenschuppen, eine Minimalhütte zum Pionierwohnen, Garderoben, Kleiderbügel, Anrichten, Hocker, Einbaumöbel, und einen Landschaftsgarten und –möbel entworfen.

Abb. 04 Innenraum, Haus am Berge, Hellental, 1977-82 (Gebäude- und Möbelentwurf incl. Realisation, nach Rohbau im Selbstbau)
Abb. 04 Innenraum, Haus am Berge, Hellental, 1977-82 (Gebäude- und Möbelentwurf incl. Realisation, nach Rohbau im Selbstbau)

Die Stationen im Leben von Helmut Jäger sind immer auch Projektstationen

Das Projekt "Familie" Ende der 50er Jahre hat wohl mit der runden Leuchte mit Stoffbezug begonnen. Die hat er für sich und seine Bekannten entworfen und gebaut [in Bietigheim, die Bekannten waren fast durchweg wie er Flüchtlinge aus Thüringen] – unsere Mutter [die Tochter vom Elektro-Enz am Marktplatz 6, die im Laden gearbeitet hat] war der Anlass, dass er viele Leuchten entworfen und stofflich variiert hat, bis er sie heiraten konnte.

Zeit seines Lebens hat er alle Projekte nicht nur entworfen, er hat sie auch gebaut oder realisiert. In der Kindheit war dies für mich normal – immer irgendein ein Projekt in der Mache, das über die ca. 25 Jahre unseres engeren Familienlebens die Wohnung zum Atelier oder in eine Werkstatt verwandelt hat.

Abb. 05 Helmut Jäger auf seiner Baustelle (Haus am Berge), 1978
Abb. 05 Helmut Jäger auf seiner Baustelle (Haus am Berge), 1978

Später, als das meiste zumindest für die Familie gebaut war, wurden Prototypen in einer komfortablen Werkstatt im eigenen Haus entwickelt. So war es für mich auch normal, mir meine Kleidung selbst zu nähen oder neben meinem Architekturstudium auf Baustellen zu tischlern, mit Zimmerleuten, Maurern, Schlossern, Malern usw. die Gewerke auf meine Art zu lernen – für den langen Weg in die Architektur.

Abb. 06 Sideboard, Entwurf und Tischlerarbeit, Prototyp, privat, Anfang der 60er entstanden
Abb. 06 Sideboard, Entwurf und Tischlerarbeit, Prototyp, privat, Anfang der 60er entstanden

Als ich mir vor ungefähr drei Jahren über den langsamen Gedächtnisverlust meines Vaters bewusst wurde, hatte ich den Impuls, seine Arbeit aus ungefähr 60 Jahren Schaffenszeit in eine persönlich kommentierte Werkbiographie zu überführen. Das Projekt ist begonnen.

Bei der Sichtung des Materials – Photographien, Zeugnisse, Briefe und Publikationen, Zeichnungen, Skizzen, Genehmigungspläne, Patenanmeldungen, Abbildungen von Ausstellungen und Messen oder realisierten Inneneinrichtungen, und darüberhinaus auch unser Haus voller Prototypen und Unterlagen zu seinem lebenslangen Werk – sind mir einige neue Erkenntnisse gekommen, die auch mein persönliches Selbstverständnis als Architektin bestärken.

Abb. 07 Kombination, Marbach am Neckar, Prototyp, 1962
Abb. 07 Kombination, Marbach am Neckar, Prototyp, 1962

Zunächst ist die Vielfalt der Arbeiten meines Vater als Gestalter nicht eine Besonderheit der Arbeiten für "sein Projekt Familie", sondern macht genau diese Vielfalt sein Werk als Gestalter seit den frühen 50er Jahren aus. Er ist im exemplarischen Sinn ein Generalist des 20. Jhds., der sich von der Neugier auf unbekannte Herausforderungen über sein gesamtes Leben weiterentwickelt hat, um sich immer wieder neuen Aufgaben zu stellen – dabei immer den Zielen einer sozialen, gerechten Gesellschaft im Aufbruch nach dem zweiten Weltkrieg verpflichtet und gewillt, sich systematisch neues anzueignen und umzusetzen. Sein letzter Satz vor seinem Tod, "weiter, weiter, anderes Thema", erscheint mir daher wie sein lebenslanges Motto.

Abb. 08 Fensterdetail, Haus am Berge
Abb. 08 Fensterdetail, Haus am Berge

Zahlreiche Prototypen oder Serienmodelle für Möbel und Einrichtungen entwirft mein Vater zuerst in der jungen DDR, die in der Aufbruchphase noch den Ideen der ersten Moderne verpflichtet ist [ab 1952 entwirft er für das Mansfeldkombinat zunächst angestellt als Mitarbeiter der Abteilung "Investitionen – Nebenanlagen", dann selbstständig, Inneneinrichtungen für Kindergärten, Klubhäuser wie das Klubhaus Gerbstedt, Thomas Münzer Schacht in Sangerhausen, das Bergarbeiterwohnheim Volkstedt, das Ferienheim Schmücke, VEB Eisenwerke West, Bergbauschulen und Kulturhäuser]. Später entwirft er in der Bundesrepublik für die junge Demokratie im Geist einer den sozialen Zielen verpflichteten Nachkriegsgesellschaft serielle und bezahlbare Möbel oder Innen- und Objekteinrichtungen in industrieller Produktionsweise.

Abb. 09 a,b,c,d,e,f Dreiertisch Variante, Prototyp, mit Patent auf den Klappmechanismus, Veröffentlichungen (1961)
Abb. 09 a,b, b2, c, d, e, f Dreiertisch Variante, Prototyp, mit Patent auf den Klappmechanismus, Veröffentlichungen (1961)

[Grundtisch aus drei selbstständigen Tischeinheiten: Einem Grundtisch 100 x 50 cm, 40cm hoch, und zwei aufgelegten, quadratischen Beistelltischen 50 x  50 cm, 40cm hoch. Material: Fläche der Tische Ausführung in Resopal Matt oder Lochmetall, Zargen in Teak, Eiche, Esche, Rüster, Kirsch oder Nuß (oder Furnier Wenge, Palisander, Makassar). Füße Stahlrohr weiß lackiert oder Chrom. Füße einschwenkbar bei den quadratischen Tischelementen. Entwurf und Realisation: 1960/61, Prototyp Fertigung in der Tischlerei Strobel in Bietigkeim, später Albrecht & Mammele/Marbach, später Böhme/Harz. Publiziert: Möbelkultur, Heft 12, 1961, S. 1302; m+d, Bau- und Möbelschreiner, mein Eigenheim. Patentanmeldung und Zeichnungen vorhanden: Konstruktionszeichnungen (nicht datiert)]

Seine Haltung als Gestalter: geringer Materialeinsatz, günstige Produktion, eine am Menschen orientierte Funktionalität und Ästhetik wie flexible und vielfältige Nutzungsansätze, harmonische und zugleich einfache Farb- und Formgebungen.


Abb. 10 Servierwagen, Entwurf 1958

Seiner handwerklichen Prägung – mein Vater hat wie auch sein Vater als Tischler in Stadtilm seine Laufbahn kurz vor dem Krieg begonnen – und seinem systematischen Denkansatz verdankt er die Liebe zum Detail. Entwicklungsprozesse werden vom Entwurf bis in die Herstellung hinein kontrolliert, nicht zuletzt, um die kostengünstige Gestaltung auch anspruchsvoll zu realisieren.


Abb. 11 Fensterfassadendetail, Haus am Berge

Zum väterlichen Erbe als Architektin

Besonders in der Zeit als junge Architektin habe ich vor allem die Differenzen zwischen unseren Positionen wahrgenommen. Daher hat mich ein Beitrag berührt, den ich bei meiner Recherche vor ein paar Jahren gefunden habe -  zur Architekturdiskussion 1955 in Ostdeutschland schreibt mein Vater 28-jährig den kritischen Kommentar im "Sonntag", - einen Beitrag, den ich als sein persönliches Motiv verstehe, kurz darauf die DDR Richtung Bundesrepublik zu verlassen, mit dem Appel: "... wenn sie [die Architekten] dann (...) die Forderungen der Menschen unserer Gesellschaft zu verstehen suchen und wenn sie dann, so wie es in jeder Baufachschule gelehrt wird, die neuen Bauten von innen nach außen und nicht umgekehrt zu entwickeln wissen, dann brauchen wir uns nicht mehr über ‚kritisches Verarbeiten und Anwenden vergangener Formen', sondern nur noch über das Thema: "Wie verbessen wir die Forderung der Gesellschaft: Besser leben und wohnen" zu streiten. (...) dann werden bei uns Bauwerke entstehen, die den Forderungen unser Menschen entsprechen". [Sonntag, Wochenzeitung für Kultur, Politik und Unterhaltung, November 1955]


Abb. 12 Fassadendetail mit Pergola, Haus am Berge

Die modernen Ideen einer aufgelockerten und menschengerechten Stadt, wie sie vor der Nazi-Ära in Deutschland ein Hans Scharoun oder Walter Gropius vertreten und wie sie in der jungen DDR nur kurzfristig wieder Anklang finden, wird zu dieser Zeit durch die nationale Architekturdoktrin einer Ästhetik im Sinne der sowjetischen Monumentalarchitektur, als ‚nationale Tradition' ersetzt. Dagegen wendet sich Helmut Jäger in dem Text öffentlich und engagiert. Kurz darauf, 1956, hat er sich Richtung Westen nach Düsseldorf aufgemacht, hat seine Freunde und Familie in Stadtilm und Erfurt verlassen, um in Westdeutschland einen Neustart von ganz unten als " ostzonaler Überläufer ohne die entsprechenden Beziehungen" zu beginnen (aus dem privaten Briefwechsel an einen Freund, der in der DDR geblieben ist).

[Zuerst mit Anstellungen als Schreiner in Düsseldorf, dann mit Entwürfen für Ladenbauten in Ludwigsburg, in Studios von Behr (Stuttgart), bei Christiane von Paleske, ab 1959 bei Albrecht und Mammele in Marbach/Neckar, dann bei Max Böhme im Harz usw.].


Abb. 13 Haus am Berge, Nordwest-Fassadenansicht

[Zum Entwurf ‚Haus am Berge': Das Gebäude liegt an einem Südosthang, am Rande eines Naturschutzgebietes im Hellental beim Hochmoor im Solling. Es ist von West nach Ost ausgerichtet und beherbergt acht halbe Etagen im Split-Level-Prinzip über je 50qm. Der Massivbau ist in Kalksandstein, Beton und Holzkonstruktion (Dach) in der "schwarz-weiß"-Optik Ende der 70er-Jahre mit schwarzem Eternit-Dach, einem weißen Bau-Körper und Innenraum-Flächen, und schwarz-lasierten Öffnungen entworfen.


Abb. 14 Haus am Berge, Innenraum, Eingangssituation

Die Schlafräume liegen mit horizontal ausgerichteten Öffnungen zum ostseitigen Tal, der große Hauptlebensraum ist als zweigeschossiger Galerieraum über knapp 85qm nach Süd-Westen angelegt und beherbergt Wohnzonen, halboffene Küche, Kaminbereich. Darunter liegen die Lebensbereiche der Kinder, abwärts gestaffelt dann die Büro- und Ausstellungsräume mit Anschluss zum Garten und unabhängiger Eingangssituation durch Erschließung über eine nordseitige Treppenanlage sowie später die Einliegerwohnung und die Sommerwohnung, die über eine Terrassenlandschaft mit dem Außenraum nach Südosten ausgerichtet sind.


Abb. 15 a, b, c  Haus am Berge, Südwest-Fassade, Terrassenlandschaft, Ahornbaum und Kräutergarten

Durch einen großen Ahornbaum, um den der Kräutergarten auf dem Kalksandsteinboden angelegt ist und zum Tal geschützt, öffnet sich der Raum in einen in der Tiefe gestaffelten Blick über Wiesen, Büsche, einzeln stehende Baumgruppen und Blicke auf den angrenzenden Mischwald in das Tal – eine kleinteilige und vielfältige Kulturlandschaft, wie sie in Norddeutschland immer seltener wird. Die ehemalige Ausstellung beherbergt eine großzügige Werkstatt, die lange eine Schmiede für die Prototypen war.]


Abb. 16 Marianne und Helmut Jäger, 1983

Die längste Zeit seines Lebens arbeitet er zusammen mit meiner Mutter Marianne, die die Entstehung der Arbeiten, den Bau der Prototypen und das Projekt Wohnhaus, Landschaftsgarten und Arbeitsort in Hellental nicht nur kritisch und konstruktiv von Beginn an begleitet; alle Prototypen seit den 60er Jahren hat sie auch in der Realisation unterstützt; zwischen 1979 bis 1995 führen beide das Hellentaler Planungsbüro zur Produktion des Möbelsystems J&V in Partnerschaft [Jäger & Voss, mit dem Hamburger Geschäftsmann Axel Voss, Hotelmöbel und Objekteinrichtungen, Hellental-Hamburg].


Abb. 17a ,b, c, d Jäger & Voss, Hotelmöbel & Objekteinrichtungen (Systementwurf, Entwicklung, Realisation & Vertrieb 1979-95)

Einer Meinung waren meine Eltern eigentlich selten. Die Familie und die permanente Projektentwicklung hat für jeden von uns als gestalterische ‚Diskurslandschaft' gewirkt, in der ich nicht nur meine erste Sehschule hatte, sondern auch gelernt habe, zu argumentieren. Als Mädchen habe ich seine Auffassungen zur Gotik und Renaissance oder auch zur Farbenlehre von Goethe kritiklos aufgenommen; während der langjährigen Entwurfsphase unseres Familien- und Arbeitsdomizils in Hellental waren intensive Streitgespräche der Familie zu Gestaltungsfragen an der Tagesordnung; in der Zeit meines Studiums und als junge Architektin haben wir um die Positionen für das, was uns wichtig war – in einer Zeit der limitierten Ressourcen und des Endes der industriellen Arbeit – oft gestritten.

Erinnerung verändert das Erinnerte und den sich Erinnernden

Erinnerung ist ein dynamischer Prozess und nimmt stets neue Formen an, sagt die Soziologin Aleida Assmann. Wir wissen, dass wir uns tagsüber meist an das Naheliegende erinnern, nachts können wir uns im Traum an Ereignisse aus der Kindheit erinnern als wäre es gestern.


Abb. 18 Jäger & Voss, Büroleben in Hellental mit Katze

In jeder Auseinandersetzung mit dem Erinnerten schafft die Gegenwart die Erinnerung wieder neu; und in der kritischen Aneignung von Vergangenem und von Geschichten und den Menschen und ihren Erfahrungen, die uns wichtig sind und waren, und mit denen wir einen wichtigen Teil unseres Lebens verbinden, schaffen wir die Geschichte und die Erinnerung neu. Wie, an was und auf welche Weise wir uns erinnern, gestalten wir mit unserer lebendigen Erinnerung. Wir wissen, dass unser Erinnertes sich verändert, mit unseren Erlebnissen und Erfahrungen. Schichten legen sich auf Vorhandenes und das darunter liegende kann dann auch manchmal begraben werden, bis es verändert wieder ausgegraben wird und zu neuem Leben kommt.

In den letzten Jahren des Lebens von meinem Vater war vor allem sichtbar, dass er einen unbändigen Lebenswillen und eine Lebenslust hatte, nicht zuletzt, weil er von dem Leben mit seiner 13 Jahre jüngeren Frau vielleicht nicht lassen wollte. Bis Mitte 80 – vor ein paar Jahren also - hat er noch über fast 10 Jahre Grafiken und seine Landschaft entwickelt und weiter gebaut; und er hat tatsächlich bis in die letzten Wochen seines Lebens Schach spielen können, wie er das bereits in jungen Jahren mit großer Leidenschaft getan hat – trotz der Demenz und obwohl sich sein Körper in vielen kleinen Schritten verabschiedet hat.


Abb. 19 Helmut Jäger, ca. 1983

Seine Lust am Spiel und seine lebenslange Lust am systematischen Denken, am Durchdenken von Möglichkeiten, ist heute das Credo für mein eigenes Leben und Beruf, den ich, mehr als ich zuvor dachte, in seiner Denktradition fortführe. Seine vielfältige Arbeit steht auf unspektakuläre Weise und exemplarisch für die Kontinuität einer modernen Bewegung jenseits von Spezialisierung und Engstirnigkeit im Nachkriegsdeutschland. Sein Werk ist durch ein Leben im experimentellen Reallabor und Selbstversuch in allen Maßstäben charakterisiert. Diese Tradition einer "humanen Gestaltung der Gesellschaft im Machbaren" möchte ich sichtbar machen und fortsetzten.

Berlin, 17.06.2016. Die Trauerfeier fand in der Hellentaler Kapelle statt – mit Beiträgen der Gäste zum Gedenken. Die Zeremonie wurde mit Liedern des Komponisten Franz Schubert begleitet: Der Musensohn, Des Baches Wiegenlied, Gute Nacht.

Abbildungen

Abb. 01, 06, 15b, Dagmar Jäger, 2013
Abb. 02a, 10, Albrecht & Mammele, 1962
Abb. 02b, Max Böhme, 70er Jahre
Abb. 03, 07, 09a-d, 09f, 17a-d, 15c Helmut Jäger
Abb. 09e, in: Möbelkultur, Nr. 12, 1961, S. 1302
Abb. 04, 08, 11, 12, 13, 14, 16, 19, Stefan Hermes, Köln
Abb. 05, Marianne Jäger, 1978
Abb. 15a, Christian Pieper

Sollten Fotografen falsch genannt sein, informieren Sie uns bitte.